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Tausendsassa für "Prosumenten"

Das neue Betriebssystem BeOS 4.0 drängt in den Massenmarkt

Verehrter Leser, sind Sie ein Prosument? Dann sind Sie der ideale Käufer für das BeOS der Firma Be. Dort produziert man nämlich Software für Prosumenten. Das sind ganz einfach Konsumenten, die ab und an auch als Produzenten auftreten. Ein Prosument klappert natürlich nicht mit der Textverarbeitung an einem Kochrezept herum, sondern schneidet sein Ferienvideo am PC, ordnet seine Digitalphotos und kopiert Musik-CDs in das MP3-Format.

Für die "medienaktiven Prosumenten" ist seit wenigen Tagen die Version 4 des BeOS im Handel, das als Media OS angepriesen wird. Es ist als "Zweitsystem" konzipiert und arbeitet sowohl mit Windows 95/98 als auch mit MacOS zusammen, benötigt aber eine eigene Partition auf einer Festplatte.

BeOS nennt sich Media OS, weil es eigens für die neuen Dateitypen und Präsentationsformen von Multimedia entwickelt wurde. Ohne die "Erblasten" von Windows oder MacOS, die zur veraltenden Software "abwärtskompatibel" sein müssen, ist so ein hochmodernes Betriebssystem entstanden. Es begeistert die Multimedia-Entwickler, die auf anderen Plattformen laufend die Grenzen der Software-Technik spüren.

BeOS ist das Kind von Jean-Louis Gassée, der Apple in Frankreich erfolgreich etablieren konnte. Gassée hatte im Jahre 1986 die Idee, mit einer absoluten Profimaschine die Entwickler (Geeks) zu begeistern und später mit Multimedia für die Massen (Prosumenten) hinterherzuziehen. weiter

Zusammen mit zwei Architekten des MacOS erarbeitete er die Spezifikationen für das neue Betriebssystem. Mit neun Millionen Dollar Startkapital wagte man 1990 die Gründung der Firma Be.

Für mehrere Prozessoren

Das Betriebssystem wurde so konzipiert, daß mehrere Programme gleichzeitig laufen können und der Absturz eines Programmes die anderen nicht beeinflußt. Auch achtete man darauf, daß mehrere Prozessoren sich gleichberechtigt die Arbeit teilen können. BeOS ist so eines der wenigen Betriebssysteme, das von Haus aus mit mehreren Prozessoren arbeiten kann. Es gestattet die automatische Delegierung verschiedener Arbeitsschritte auf mehrere Prozessoren. Beim Abspielen eines Videos übernimmt beispielsweise ein Prozessor das Dekomprimieren der Daten, während der andere für die Vorführung von Bild und Ton zuständig ist.

Alle diese Multimedia-Techniken werden zwar von dem einen oder anderen Betriebssystem beherrscht, doch ist es die Stärke von BeOS, sie direkt mit Unterstützung der neuesten Multimediageräte anzubieten. Mit der Version 4 kann sich erstmals auch der interessierte Laie mit BeOS beschäftigen. Das 199 Mark teure System kann die Dateien und Verzeichnisse von Windows 95/98 lesen und abspielen, mit einem kostenlosen Programm aus dem Internet gar als normaler Arbeitsplatz in einem NT-Netzwerk existieren. Die Mimikry an Windows geht soweit, daß selbst die Tastaturkürzel in Windows-Manier funktionieren. weiter

Wer mit BeOS spielt, muß keine Schwellenängste überwinden. Sieht man von dem reichlich umständlichen ständigen Diskettenwechseln ab (CDs werden automatisch erkannt), hat der durchschnittliche Windows-Kenner BeOS nach einer halben Stunde im Griff.

Bleibt die Frage, womit denn überhaupt gespielt werden kann. Abseits der verschiedenen Midi- und CD-Player des Betriebssystems gibt es kaum Software für Prosumenten. Compiler, Programmierhilfen und ein T-Shirt führen die Hitlisten beim Be-Verkauf (www.bedepot.com) an. Dennoch gibt man sich zuversichtlich. "Schauen Sie sich Linux an. Das war lange Zeit nur ein Insider-Tip. Jetzt hat Linux den Sprung zum professionell nutzbaren System geschafft", sagt Gerhard Wasser von Jolodata, einem der drei Be-Vertreiber in Deutschland. "So wie Linux die Alternative zu Windows NT geworden ist, so wird BeOS die Alternative zu Windows 95/98."

Wasser ist sich sicher, daß BeOS keine Eintagsfliege ist. Einen wichtigen Markt konnten die Mannen um Jean-Louis Gassée bereits erobern: Die japanische Version von BeOS soll - dank ihrer einfachen Art der Eingabe japanischer Zeichen - ein solcher Renner sein, das Hitachi nunmehr eine komplette PC-Baureihe mit BeOS ausstattet.

DETLEF BORCHERS